Schäden durch Dachlawinen – Wer haftet?

Dachlawinen- ein Begriff, mit dem sich die Bürger Nordrhein-Westfalens in den vergangenen Jahren  wenig bis gar nicht auseinandersetzen mussten. Nach dem Wintereinbruch Anfang Februar 2021, der von dem ein oder anderen schon  in einem Atemzug mit dem Katastrophenwinter 1978 genannt wird, weiß nun aber auch der gemeine Mitteldeutsche, was ein strenger Winter bedeutet. Dabei stehen nicht nur die Straßenverhältnisse im Fokus, sondern auch etwaige mit dem Einsetzen des Tauwetters entstehende Gefahren, wie beispielsweise von den Dächern abgehende Schneemassen.

Stürzt dieser Schnee auf geparkte Fahrzeuge oder trifft er Passanten, ist dies meist mit erheblichen Gefahren für den Betroffenen verbunden. Kommt es zu (Personen- oder Sach-) Schäden Dritter stellt sich die Frage, wer für diese Schäden haftbar gemacht werden kann.

Haftung nur bei einer schuldhaften Verletzung der Verkehrssicherungspflicht

Bei Schäden durch Dachlawinen wird besonders deutlich, dass die Haftung vom jeweiligen Einzelfall, d. h. davon abhängt, wie stark die einzelnen Gerichte die Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ausgestalten. Es ist die Rede von der sogenannten Verkehrssicherungspflicht. Danach ist derjenige, der eine Gefahrenlage, etwa durch Verkehrseröffnung, schafft, grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern (BGH VersR 2006, 233). Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugend begegnet werden kann. Ein allgemeines Verbot, andere nicht zu gefährden, wäre utopisch (BGH VersR 75,812). Deshalb muss nicht für alle denkbaren Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge getroffen werden. Es reicht aus, diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger dieser Gruppe für ausreichend halten darf, um andere vor Schäden zu bewahren.

Schneefanggitter können durch Gesetze und Satzungen vorgeschrieben sein

Problemlos zu beantworten sind diejenigen Fälle, in denen der Hauseigentümer durch Gesetz oder Ortsstatut verpflichtet ist, sein Dach durch Schneefanggitter abzusichern. Wird diese Gefahr verletzt, ist der Hauseigentümer dem Geschädigten zum Schadensersatz verpflichtet (OLG Nürnberg NZV 94,153). Oftmals und gerade in Regionen, in denen wenig bis gar kein Schnee fällt, wird man in den einschlägigen Gesetzen und Ortsstatuten keine derartigen Regelungen zur Absicherung der eigenen Hausdächer vor dem Abgang von Schneelawinen finden.

Haftung setzt „besondere Umstände“ voraus

Eine Verkehrssicherungspflicht ist im Hinblick auf durch Dachlawinen verursachte Schäden nach der ganz überwiegenden Rechtsprechung nicht im Regelfall, sondern nur unter „besonderen Umständen“ gegeben. Solche können sich insbesondere aus der allgemeinen Schneelage des Ortes, der Beschaffenheit und Lage des Gebäudes, der Ortsüblichkeit, den konkreten Schneeverhältnissen, der Art und des Umfanges des gefährdeten Verkehrs sowie der Gefahrenwahrscheinlichkeit ergeben (vgl. LG Ulm, NJW-RR 2006, 1253; LG Karlsruhe vom 22.01.1999, Az. 9 S 440/98; OLG Karlsruhe vom 18.03.1983, Az. 15 U 280/82; OLG Zweibrücken vom 09.07.1999, Az. 1 U 181/98; AG Brandenburg vom 23.08.2012, Az. 34 C 127/11; OLG Düsseldorf vom 17.02.2012, Az. 24 U 217/11; LG Duisburg vom 22.10.2012, Az. 2 O 259/11; AG Münster vom 14.11.2012, Az. 48 C 4303/11; AG Leipzig vom 04.04.2013, Az. 105 C 3717/10; OLG Hamm vom 14.08.2012; Az. 9 U 119/12; OLG Düsseldorf vom 28.02.2014, Az. 22 U 152/13; AG Hannover vom 15.07.2014, Az. 438 C 12642/13; OLG München vom 11.04.1997, Az. 14 U 879/96).

Wie den vorstehenden Verweisen auf die einschlägige Rechtsprechung zu entnehmen ist, mussten sich in der Vergangenheit nicht nur die Gerichte in den eigentlichen Schneegebieten mit diesen Haftungsfrage beschäftigen, sondern auch die Instanzgerichte in den Teilen der Republik, in denen wenig bis gar kein Schnee fällt.

Abwägung aller Umstände im Einzelfall

Eine erhöhte Sorgfaltspflicht im Sinne besonderer Umstände folgt außerdem aus der Erheblichkeit der Gefährdungslage bzw. der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts. Dabei ist das Hauptaugenmerk darauf zu richten, welche Schneemassen sich seit wann auf dem Dach befinden und welche Neigung das Dach aufweist. Bei einer Dachneigung von mehr als 35° muss in der Regel damit gerechnet werden, dass größere Schneemassen vom Dach auf die darunter befindlichen (Verkehrs-) Flächen abgehen können. Ob diese Umstände ausreichen, eine Verkehrssicherungspflicht des Eigentümers zu begründen, lässt sich allerdings nicht pauschal beantworten und wird von weiteren Umständen des Einzelfalles und der Sichtweise des zuständigen Gerichtes abhängen.

In schneearmen Gebieten entscheiden Gerichte häufig pro Eigentümer

Die Tendenz in der Rechtsprechung geht dahin, gerade in schneearmen Gebieten eine Verkehrssicherungspflichtverletzung des Hauseigentümers zu verneinen. Oftmals wird damit argumentiert, dass jedem Bürger die Gefahren möglicher Dachlawinen bekannt sind und er sich hierauf entsprechend einrichten muss. Mit anderen Worten wird die Verkehrssicherungspflicht unter Hinweis auf die Eigenverantwortlichkeit der Bürger verneint.

Kommt man zu dem Ergebnis, dass der Grundstückseigentümer Vorsorge zu treffen hat, dass von seinem Dach keine Lawinen abgehen, bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass das Dach dauerhaft mit Schneefanggittern auszustatten ist. In diesem Zusammenhang kann es bereits ausreichen, dass der Hauseigentümer sichtbar entsprechende Warnhinweise an seinem Haus anbringen, wonach mit von dem Dach abgehenden Schneemassen zu rechnen ist.

Mitverschulden des Geschädigten muss berücksichtigt werden und kann zum vollständigen Haftungsauschluss führen

Eine schuldhafte Verkehrssicherungspflichtverletzung durch den Hauseigentümer führt nicht automatisch zu dessen vollständiger Haftung. Bei der Haftungsabwägung ist auch immer das Verhalten des Verletzten zu beachten und die Frage nach einem möglichen Mitverschulden im Sinne von § 254 BGB zu stellen. Ein solches Mitverschulden wird in der Regel zu bejahen sein, wenn wie im Februar 2021 in NRW sich große Schneemengen auf den Dächern sammeln, aufgrund der Minusgrade dort über mehrere Tage liegen bleiben und dann bei einsetzendem Tauwetter schnell abschmelzen. Zumindest der kurze Blick des Verkehrsteilnehmers nach oben dürfte zumutbar und auch erforderlich sein.

Ob dieses Mitverschulden dazu führt, dass jedwede Schadensersatzansprüche gegen den Hauseigentümer ausscheiden, hängt von der jeweiligen Beurteilung des zuständigen Gerichtes ab.

Wurden Sie durch Schneelawinen geschädigt, helfe ich Ihnen gerne, die mitunter schwierige  Haftungsabwägung für Sie durchzuführen, die Rechtslage zu bewerten und ihre berechtigten Ansprüche gegenüber dem Verkehrssicherungspflichtigen geltend zu machen.