Die Leistungspflicht der Betriebsschließungsversicherung in der Corona Pandemie – Ein Überblick über die aktuelle Rechtsprechung
Wann und unter welchen Voraussetzungen ist eine Betriebsschließungsversicherung zur Zahlung an ihre Versicherungsnehmer verpflichtet, wenn diese von einer behördlichen Schließungverfügung betroffen sind.
Diese Frage beschäftigt seit mehreren Monaten deutschlandweit die Instanzgerichte. Die zugrunde liegenden rechtlichen Fragestellungen können (derzeit) nicht ohne weiteres eindeutig beantwortet werden und sind für den sogenannten juristischen Laien auch schwer nachvollziehbar.
Aus diesem Grund soll sich dieser Beitrag nicht darin ergehen, die einzelnen von der Versicherungsbranche bzw. deren Rechtsanwälten und den diesen gegenüberstehenden Versicherungsnehmern vorgebrachten Argumente pro und contra Versicherungsschutz gebetsmühlenartig zu wiederholen; vielmehr soll dem Leser ein grober Überblick verschafft werden, wie sich die einzelnen Fälle voneinander unterscheiden und wie die bisher befassten Gerichte die zur Entscheidung vorgelegten Rechtsfragen beantwortet haben.
LG München I, Urteil vom 22. Oktober 2020 – 12 O 5868/20 –, juris
Die allgemeinen Bedingungen für die Betriebsschließungsversicherung der Beklagten enthielten folgende Regelungen:
„Der Versicherer leistet Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger, den versichterten Betrieb schließt“.
Weiter heißt es in den dortigen Bedingungen:
„Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden, im Infektionsgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger.“
Es folgt eine Aufzählung zahlreicher Krankheiten und Krankheitserreger, wobei das für die Betriebsschließung verantwortliche Coronavirus nicht genannt worden ist.
Das Landgericht hat die Leistungspflicht der Versicherung bejaht und der Klage überwiegend stattgegeben. Dem Einwand der Versicherung, wonach der Versicherungsnehmer verpflichtet gewesen wäre, gegen die Anordnung zur Schließung seines Betriebes gerichtliche Schritte einzuleiten, folgte das Gericht nicht.
Die letztlich alles entscheidende Frage, ob das streitgegenständliche Coronavirus zu den versicherten Krankheiten gehört, bejahte das Gericht mit folgender Begründung:
„Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird dem Wortlaut der Bestimmung entnehmen, dass die Aufzählung die meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger nach dem IfSG wiedergibt. Einen Hinweis darauf, dass im IfSG etwas enthalten sein könnte, was in dieser Liste nicht wiedergegeben ist, befindet sich weder an dieser, noch an anderer Stelle in den Bedingungen der Beklagten. Allein die Überschrift und den Wortlaut „Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden (…)“ muss der Versicherungsnehmer nicht als Einschränkung des Versicherungsumfangs verstehen. Aufgrund der (werbenden) Länge der sich anschließenden Liste und der damit suggerierten Vollständigkeit ist es für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer nicht naheliegend, dass die Klausel einen einschränkenden Versicherungsumfang formuliert und insoweit negative Abweichungen gegenüber dem maßgeblich in Bezug genommenen IfSG bestehen. Eine klare und deutliche Formulierung wie z.B. “ nur die folgenden“, „ausschließlich die folgenden“ oder “ diese Auflistung ist abschließend“ enthält die Klausel nicht.“
LG Oldenburg, Urteil vom 21.10.2020- 13 O 1637/20 -, juris
Die von der Versicherung verwendete Klausel entsprach nahezu vollständig der vorgenannten Klausel, über welche das Landgericht München I zu entscheiden hatte.
„Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden, im Infektionsgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger: (…)“
Anders als das Landgericht München vertraten die Richter in Oldenburg die Ansicht, dass der Wortlaut der vorzitierten Klausel eindeutig abschließend und dies für den Versicherungsnehmer auch ohne weiteres erkennbar war.Im Gegensatz zum LG Darmstadt, auf dessen Entscheidung im folgenden noch eingegangen wird, verkannte das Landgericht Oldenburg, dass es das in Bezug genommene Infektionsgesetz überhaupt nicht gibt. Die Rede hätte von dem Infektionsschutzgesetz sein müssen.
LG Essen, Urteil vom 21.10.2020 – 18 O 167/20 – , juris
Die von der Versicherung verwendete Klausel entsprach nahezu vollständig der obengenannten Klausel aus dem Rechtsstreit vor dem LG München I, allerdings mit dem Unterschied, dass in dem 2. Absatz zu den meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserregern richtigerweise auf das Infektionsschutzgesetz und nicht etwa auf das nicht existente Infektionsgesetz verwiesen wurde.
Anders als die Richter aus München vertraten die Richter in Essen die Ansicht, dass die Coronavirus – Krankheit (COVID-19) bzw. der Krankheitserreger SARS-CoV-2 nicht vom Versicherungsschutz umfasst sei, da nach dem Wortlaut der verwendeten Klausel für den Versicherungsnehmer feststehe, dass nur die enumerativ genannten Krankheiten und Krankheitserreger versichert seien.
Bei seiner Urteilsbegründung hat sich das Landgericht Essen an dem Beschluss des OLG Hamm vom 15.07.2020 – I-20 W 21/20 orientiert.
LG Göttingen, Urteil vom 13.1.2021-5 O 111 / 20-, juris
Ebenso wie die beiden vorgenannten Landgerichte ist auch das Landgericht Göttingen ist in seiner nicht rechtskräftigen Entscheidung zu dem Ergebnis gelangt, dass die Betriebsschließung eines Fitnessstudios infolge der Corona-Pandemie nicht von dem Versicherungsschutz der bestehenden Betriebsschließungsversicherung abdeckt sei, wenn sich in den Versicherungsbedingungensich die Regelung findet, dass die “ folgenden, im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten oder Krankheitserreger“ versichert sind.
LG Darmstadt, Urteil vom 9.12.2020 – 4 O 220/20 – juris
Ganz auf der Linie der Entscheidung des LG München I liegt die Entscheidung des LG Darmstadt, in der die 4. Zivilkammer des vorgenannten Landgerichts über die Frage zu entscheiden hatte, ob eine Klausel in den Versicherungsbedingungen der beklagten Versicherung, in der zahlreiche Krankheiten und Krankheitserreger genannt werden, nicht jedoch COVID-19 bzw. SARS-CoV-2, gleichwohl eine aufgrund der Corona-Pandemie angeordnete Betriebsschließung erfasst / versichert.
Das Gericht hat der Klägerin eine Zahlung i.H.v. 540.000,00 € mit folgender Begründung zugesprochen:
„Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht; (…)
Auf den ersten Blick spricht für eine Beschränkung auf die in den AVBR aufgeführten Krankheiten und Krankheitserreger zwar, dass es sich um eine enumerative Aufzählung handelt mit dem Wortlaut, dass die „folgenden“ Krankheiten und Krankheitserreger meldepflichtig im Sinn der AVB- BS sind (…). Ein solches Auslegungsergebnis wird jedoch durch die gleichzeitige Bezugnahme auf die §§ 6, 7 IfSG grundlegend infrage gestellt, weil der durchschnittliche Versicherungsnehmer dadurch den Eindruck gewinnen kann, dass der Versicherungsschutz sich auf die nach diesen Vorschriften meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger erstrecken soll; die Auflistung hätte dann nur die Funktion, dem Versicherungsnehmer informativ und eher beispielhaft vor Augen zu führen, welche dies im einzelnen-zum Zeitpunkt der Erstellung der AVB-sind, wofür auch spricht, dass in den AVBR-BS unter § 3 Nr. 4 ausdrücklich aufgeführt ist, dass eine Haftung für Prionenerkrankungen nicht besteht, obwohl diese in der Auflistung der AVB gar nicht genannt sind. Beide Auslegungsmöglichkeiten erscheinen hier jedenfalls gleichwertig möglich zu sein, sodass gemäß § 315 Abs. 2 BGB die dem Versicherungsnehmer günstigere Auslegung maßgeblich ist, sodass Versicherungsschutz umfassend für nach den §§ 6, 7 IfSG meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger besteht.“
Die Liste der erstinstanzlichen Urteile ließe sich an dieser Stelle noch erweitern, wobei nicht unerwähnt bleiben soll, dass die überwiegende Anzahl der Gerichte bislang einen Versicherungsschutz für das Corona-Virus verneint hat.
Der Ausgang eines möglichen Rechtsstreits hängt maßgeblich davon ab, welche konkrete Klausel der Versicher verwendet hat und wie diese Klausel aus Sicht eines objektiven Empfängers verstanden werden konnte/musste.
Eine ablehnende Entscheidung des Versicherers sollte ebenso wenig akzeptiert werden, wie das momentan übliche Vergleichsangebot von 15 % der Versicherungssumme, auch wenn die Not der von den Schließungsverfügungen Betroffenen womöglich keinen finanziellen Spielraum zulässt und den Versicherungsnehmer dazu zwingt, ein ungünstiges Vergleichsangebot anzunehmen.
Sind auch Sie von Schließungsverfügungen betroffen und zahlt Ihre Versicherung nicht, berate ich Sie gerne.
Kontaktieren Sie Rechtsanwalt Russell unter 01525/8957937