BGH zu 0900-Nummern: Eltern haften nicht für Kinder
Eine Mutter, deren minderjähriger Sohn per 0900er-Nummer Items für sein Online-Spiel erwarb, muss nach Auffassung des BGH nicht für die zusätzlichen 1.250 Euro auf der Telefonrechnung haften.
Normalerweise haftet der Inhaber eines Telefonanschlusses für die Kosten der darüber getätigten Anrufe – es sei denn, er weist nach, dass ihm die Nutzung nicht zuzurechnen ist. Nach einer überraschenden Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) soll das aber nicht gelten, wenn über den Anschluss im sogenannten Pay-by-call-Verfahren kostenpflichtige Zusatzinhalte für Onlinespiele erworben werden (Urt. v. 6.04.2017, Az. III ZR 368/16).
Beim Pay-by-call-Verfahren wählt der Nutzer eine kostenpflichtige Mehrwertdienstnummer („0900-Nummer“) und löst so die Abrechnung einer bestimmten Summe über die Telefonrechnung aus. Meist wird dann ein einmalig verwendbarer Code angesagt, den der Nutzer im Rahmen eines Online-Dienstes – häufig ein Online-Spiel – eingeben und damit virtuelle Gegenstände, virtuelle Währung oder sonstige Premiumfunktionen freischalten kann.
In dem dem BGH vorliegenden Fall hatte der minderjährige Sohn der beklagten Anschlussinhaberin über deren Festnetzanschluss insgesamt 21 mal bei einer solchen Mehrwertdienstnummer angerufen und damit Credits für ein Online-Spiel im Wert von rund 1.250 Euro freigeschaltet. Die Mutter zahlte nicht, so dass das klagende Unternehmen seine Forderung zunächst erfolgreich gerichtlich geltend machte.
Haftung des Anschlussinhabers auch für Premium-Rufnummern
Die Firma argumentierte dabei mit einer Sondervorschrift aus dem Telekommunikationsrecht, wonach der Anschlussinhaber für alle über seinen Anschluss in Anspruch genommenen Leistungen haftet, soweit er nicht nachweisen kann, dass ihm die entsprechende Nutzung nicht zuzurechnen ist (§ 45i Abs.4 S. 1 Telekommunikationsgesetz [TKG]), und war damit vor dem Amts- und Landgericht erfolgreich.
Die Norm dient dem Vertrauensschutz des in Vorleistung gehenden Telekommunikationsanbieters: Seine Rechtsposition soll gestärkt und allzu einfache Missbrauchsmöglichkeiten erschwert wurden. Anschlussinhaber sollten der Begleichung ihrer Telefonrechnung gerade nicht durch bloßes Bestreiten der Nutzung entgehen können – und an den Nachweis des Missbrauchs durch Dritte sind hohe Anforderungen zu stellen. Diese Grundsätze gelten – mangels gesetzlich geregelter Ausnahme – auch für die Anwahl von Mehrwertdienstnummern.
BGH: Zahlungsdienst am Telefon
Der BGH hielt die Vorschrift des § 45i Abs. 4 S. 1 TKG indes nicht für einschlägig und sah die Anschlussinhaberin nicht in der Pflicht. In der streitgegenständlichen Konstellation liege nämlich kein Telekommunikations-, sondern ein Zahlungsdienst vor, für den andere Regeln gälten. Insbesondere sehe § 675u Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) vor, dass das Risiko einer nicht autorisierten Zahlung beim Zahlungsdienstleister liege, der den Kunden so zu stellen habe, wie er ohne die Ausführung der nicht autorisierten Zahlung stünde. Der BGH meint, dass diese verbraucherfreundlichere Regelung unterlaufen würde, wenn man telekommunikationsfremden Leistungserbringern bei Nutzung des Call-by-call-Verfahrens den stärkeren Vertrauensschutz des § 45i Abs. 4 TKG zugestünde.
Der BGH stellt sich mit dieser Entscheidung gegen die überwiegende Rechtsprechung der Instanzgerichte, die in vergleichbaren Fällen meist zugunsten des Spiele- beziehungsweise Zahlungsdienstanbieters geurteilt hatten – und zwar gerade auch in Fällen, in denen zumindest im Raum stand, dass Minderjährige den elterlichen Anschluss genutzt haben könnten. Eine solche Nutzung sei den Eltern immer noch zuzurechnen, wenn sie ihren Anschluss nicht gegen diese naheliegende Möglichkeit gesichert haben, so die überwiegende Meinung. Das Missbrauchsrisiko des Anschlusses müsse danach grundsätzlich der Anschlussinhaber tragen.
Zwar hatte der BGH bereits in seiner Entscheidung zu R-Gesprächen (Urt. v. 16.03.2006, Az. III ZR 152/05) angedeutet, dass die Haftung des Anschlussinhabers für die Telefonnutzung minderjähriger Kinder ihre Grenzen hat. Dabei hatte er aber die Vorgängernorm des § 45i TKG angewandt.